Sonntag, 25. September 2011

Thilo Sarrazin - der deutsche Jörg Haider

 Thilo Sarrazin

Jörg Haider war der Schwertträger der "Neuen Rechten“
Thilo Sarrazin – ist der Eisbrecher für die "Neuen Rechten"

Thilo Sarrazin orientiert sich an Jörg Haider dem Erfinder des modernen rechtsextremen und rassistischen Populismus. In Talkshows präsentierte Haider sich gerne als "liberaler Reformpolitiker", so wie Thilo Sarrazin heute auch, der nur das ausspricht, was "eh ein jeder denkt und weil`s die Wahrheit ist." Ein Chamäleon, das seine rechte Gesinnung verstecke, benannte die Grüne Kerstin Müller Jörg Haider mal im Bundestag. Eine Analyse die für Sarrazin heute ebenfalls zutrifft. Um zu begreifen, was mit einem politischen Aufstieg von Thilo Sarrazin auf Deutschland zukommen könnte, muss man sich heute nocheinmal fragen, wer war dieser Jörg Haider, wer bewegte sich in seinem Umfeld?

von Klaus Ch. Kufner


In Bad Goisern wuchs Georg (treudeutsch Jörg) Haider auf, im Salzkammergut, in der von den Nazis geplanten "Alpenfestung". Die Mutter eine frühere Bannmädelführerin, der Vater bis zu seinem Tod ein überzeugter Nazi - Robert Haider. Der hatte mit seinem NS-Sturmtrupp, der "Österreichischen Legion", zwischen dem 24. und 27. Juli 1934 mehrere Orte in Oberösterreich überfallen. In Kollerschlag wurde dabei der Gendameriebeamte Johann Hölzel erstochen. Per Haftbefehl wegen Hochverrat und Meuchelmord gesucht, kehrte der nach Bayern geflohene Robert Haider erst 1938 - nach Österreichs Anschluss an Nazi-Deutschland - zurück und wurde Gaujugendwalter von Oberdonau(Oberösterreich). 
Derart geprägt, schloss sich Sohn Georg schon als Gymnasiast deutschnationalen Vereinigungen wie der Burschenschaft Albia an. Die hatte 1963 ihre Jahrestagung in Bad Aussee demonstrativ für den 20. April ("Führergeburtstag") einberufen. Ein Fackelzug sollte stattfinden, die Häuser sollten beflaggt werden, Plakate wiesen Wochen zuvor auf das Ereignis hin - bis die Sicherheitsdirektion Graz den Aufmarsch untersagen ließ. 
Haider war Ehrenmitglied etlicher deutschnationaler Burschenschaften: der Olympia, der Teutonia, der Silvania. Zum 100. Stiftungsfest der Burschenschaft Rugia 1992 in Salzburg hielt Ehrenbursche Haider die Festrede "Freiheitliche Eliten für Österreichs Zukunft". 
In der Kunst der Rede hatte er sich schon früh geübt. 1966 beteiligte er sich am Redewettbewerb des Österreichischen Turnerbundes in Innsbruck - und gewann. Thema: "Sind wir Österreicher Deutsche?" Der Vortrag wurde in der mehrfach gerichtlich beschlagnahmten "Deutschen National-Zeitung" unter dem Titel: "Österreich bleibt deutsch" abgedruckt. 
Der damalige FPÖ-Obmann Friedrich Peter, Exoffizier der Waffen-SS, hatte Haider bereits 1966 bemerkt und in die FPÖ geholt. Ab 1968 Landesjugendführer der Freiheitlichen Jugend Oberösterreichs, war Haider 1970 bis 1974 Bundesobmann des Ringes Freiheitlicher Jugend. Nach dem Jurastudium in Wien arbeitete er als Assistent am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien, bis ihn der damalige FPÖ-Obmann Ferrari-Brunnenfeld als Landesparteisekretär nach Klagenfurt berief. Gleichzeitig wurde Haider Obmann des Kärntner Ringes Freiheitlicher Jugend (RFJ) und gründete in dieser Funktion eine "Nationale Arbeitsgemeinschaft", bei der auch Mitglieder der verbotenen "Aktion Neue Rechte" (ANR) mitarbeiteten. 
Seine wichtigsten Bezugspersonen blieben aber seine Bundesbrüder in diversen Burschenschaften und übte sich in der burschenschaftlichen Fechtkunst, der Mensur, an einer Strohpuppe mit der Aufschrift Simon Wiesenthal. Zum 77. Stiftungsfest seiner Urburschenschaft Albia 1985 war Jörg Haider als Festredner geladen. Doch war er gerade mit der propagandistischen Reinwaschung des SS-Massenmörders Reder beschäftigt und ließ seine Freunde in Bad Ischl wissen, er sei erkrankt. Also mussten die Herren mit einem Ersatzredner vorlieb nehmen: Helmut Golowitsch, Kaufmann aus Linz, Bundesschulungsreferent des "Österreichischen Pennälerringes" und Gründungsmitglied der NDP, war 1962 wegen Sprengstoffanschlägen in Italien inhaftiert und hatte 1979 in der Linzer Innenstatt ein "Holocaust-Sonderblatt" verteilt, indem er die Existenz von Gaskammern bestritt. Bevor Golowitsch ans Rednerpult schritt, hatte er in Begleitung von Funktionären der Burschenschaft und des FPÖ-Stadtparteiobmanns von Bad Ischl den Albia-Nachwuchs inspiziert. Erfreut hatte man festgestellt, dass es der Albia nach längerer Pause wieder gelungen war, am Ischler Gymnasium Fuß zu fassen. Beim Bundesgymnasium Bad Ischl hatte auch Jörg Haider sein Abitur gemacht. Im Herbst 1983 waren dort emsige neonazistische Umtriebe festgestellt worden. Professor Adolf S., später vom Dienst suspendiert, hatte den Schülern während des Mathematik- und Physikunterrichts zu verstehen gegeben, dass die Gaskammern "nachträglich von den Amerikanern eingebaut" worden wären. Übrigens habe Hitler "nur Verbrecher vergast". 
1986 erbete Haider von seinem Großonkel Wilhelm Webhofer das Bärental in Kärnten. Wert 120 bis 160 Millionen Schilling. Das machte Haider zum reichsten Politiker Österreichs und finanziell unabhängig. Wilhelm Webhofer war nach 1945 Mitglied der Nazifluchthilfeorganisation ODESSA und galt als Strohmann für versteckte Vermögen aus dem dritten reich. Das Bärental war bis 1941 im Besitz der italienischen Jüdin Mathilde Roifer gewesen. Im Rahmen der "Entjudung" und "Arisierung" war sie gezwungen worden, ihren Besitz für einen lächerlichen Betrag zu verkaufen. Käufer war der "Vollarier" Josef Webhofer, Vater von Haiders Großonkel. Nach dem Krieg versuchte Frau Roifer vergeblich, ihr Eigentum zurückzuerhalten, sie bekam lediglich eine Entschädigung in Höhe mehrerer Jahreserträge des Fruchtgewinns aus der Forstwirtschaft. Das Verfahren in Klagenfurt beendete der Richter mit der Begründung, dass der Waldbesitz von Frau Roifer nicht arisiert, sondern "nur" entjudet wurde. Und sie demnach keinen Rechtsanspruch auf die in Österreich geltenden Gesetze zur Entschädigung enteigneten Vermögens besitze. Diese "feine" semantische Unterscheidung des Richters möge man sich auf der Zunge zergehen lassen... 
In der Analyse des Haiderschen Werdegangs zeigt sich eine Kontinuität: die Nationalfreiheitlichen, die NSDAP und die FPÖ haben als gemeinsame ideologische Grundlage die "Volksgemeinschaft". In der FPÖ wird die "soziale Volksgemeinschaft" ausdrücklich als Ziel definiert. Das bekannte Verhaltensmuster Haiders: Er deckte neonazistische Bekenntnisse ab, hielt sich aber selbst mit Aussagen zurück, die seine Gesellschaftsfähigkeit gefährden hätten können. Gerne präsentierte er sich als Bildungsbürger, der mit dezenten Hinweisen auf eine vergangene Ideologie seine ultrarechte Botschaft gesellschaftsfähig hielt. 
So treffen sich alljährlich alte und neue Nazis, Nationalisten und Militaristen aus ganz Europa auf dem Ulrichsberg in Kärnten. Von diesem Bund der rechtsextremen schrieb die FPÖ-Zeitung "Kärntner Nachrichten": "In der Waffen-SS war das vereinigte Europa schon verwirklicht. Sie sind daher nicht die Letzten von gestern, sondern die Ersten von morgen." Dass Haider der "europäischen Begegnungsstätte" auf dem Ulrichsberg seinen Segen gab, ist klar. Es ist ihm sogar eine "ehrende Aufgabe", vor diesem Kreis zu sprechen, denn diese "Menschen mit einer idealistischen Lebenseinstellung, denen Heimat noch etwas bedeutet (...) ragen heute heraus wie ein wetterfester Fels im Meer des geist- und geschichtslosen Flugsandes. Die Weltkriegsteilnehmer, Wehrmacht und Waffen-SS, haben für Frieden und Freiheit gekämpft und somit zum Aufbau der heutigen demokratischen Gesellschaft beigetragen." 
Immer wieder wehrte sich Haider gegen Antisemitismus-Vorwürfe gegen seine Partei. Der Konflikt um den Kärntner FPÖ - Bürgermeisterkandiaten Peter Müller zeigte jedoch, dass der Antisemitismus latent wabert. Müller war 1988 im österreichischen Wirtschaftsmagazin "trend" mit dem Spruch zitiert worden: "Dem Simon Wiesenthal hab' ich gesagt: Wir bauen schon wieder Öfen, aber nicht für Sie, Herr Wiesenthal - Sie haben in Jörgl seiner Pfeife Platz!" 
"Nicht einmal ignorieren" wollte Haider die aufbrechende "künstliche Erregung", wie er die Kritik wegzuwischen versuchte. Es handele sich um eine von den Medien betriebene "Menschenjagd". Daher gelte: "Wenn einer glaubwürdig macht, dass er das nicht gedacht hat, muss man ihn schützen." Dennoch legte Müller wenig später seine politischen Funktionen nieder. Und sein Fall war nicht der einzige. 

16. Oktober 1988: Die FPÖ zieht erstmals in den niederösterreichischen Landtag ein und hat einen Sitz im Bundesrat. Dafür wird Helmuth Weiss (46) ausersehen. Er hatte in einem Leserbrief an die Zeitschrift der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS "Kameradschaft IV" den Widerständler Admiral Canaris als "einen der größten Verräter Deutschlands" bezeichnet. Und weiter: "Wenn der Soldateneid nicht zum Lippenbekenntnis werden soll, dann darf er auch niemals und nicht im geringsten in Frage gestellt werden." Im Herbst 1989 sollte Weiss in den Nationalrat einziehen. Das Echo auf seine Äußerungen verhinderte das, Weiss trat auch als Bundesrat zurück. 

Jahreswende 1988/89: Das von der Kärntner FPÖ herausgegebene "Grenzland-Jahrbuch" sorgte für Aufsehen. Text über den März '38: "Wo gestern Hass und Entzweiung gewesen war, war heute Größe und Sieg... Wieso alles anders geworden war, woher es kam, darauf gab es nur eine Antwort, Adolf Hitler, der Führer." 

9. November 1989: Raimund Wimmer, Mitglied des FPÖ-Bundesvorstands und FPÖ-Obmann von Linz-Land, erklärt im ORF: "50 000 Juden anzusiedeln, wie ich das vom Zilk gehört habe, das ist unmöglich. Der kennt die Juden nicht. Ich war im Krieg überall. Ich hab' sie kennengelernt. Die würden sich wundern, wenn die Peikelsjuden würden herumrennen in Wien." Wiens Bürgermeister Helmut Zilk hatte sich für eine Integration von Juden aus der UdSSR ausgesprochen. Peinlich war für Haider, dass er selbst Wimmer überschwänglich als so etwas wie den "Vater der politischen Erneuerung dieser FPÖ seit 1986" bezeichnet hatte. 

24. Novemeber 1989: Die FPÖ-Landesparteileitung Burgenland ortete in einem Resolutionsantrag eine "bedrohliche Zunahme von Scheinasylanten, Kriminellen usw.", die die "Grundlagen unserer Identität und Kultur untergraben". Gefordert werden "entschlossene Maßnahmen", um "unser Volkstum, unsere Kultur und unsere Eigenart zu bewahren". 

21. Januar 1990: FPÖ-Landesobmann Wolfgang Rauter attackierte im Pressedienst seiner Partei einen politischen Kontrahenten von der ÖVP: "Solche Leute wie Kiss hätten in der Nazi-Zeit als Volksschädlinge sicherlich nicht politische Karriere machen können." 

Dass Haider keinerlei Berührungsängste gegenüber Ewiggestrigen hatte, zeigte er bereits 1980: Gemeinsam mit dem NDP-Führer Norbert Burger trat Haider bei einer Feier des freiheitlichen Akademikerverbandes Kärnten-Osttirol auf. Zum Abschluss der Festivität sangen die Teilnehmer händchenhaltend das Treuelied der SS "Wenn alle untreu werden". 

Haider wurde in Österreich zum Flugzeugträger der Neuen Rechten in Europa. Die von Jörg Haider geformte FPÖ und auch seine neu gegründete Partei BZÖ, verfügt nach wie vor über staatliche Machtinstrumente wie Justiz, Polizei, Geheimdienste und Militär. Die Koalition mit Schüssels ÖVP ließ reihenweise Rechtsradikale in allerlei Amtsstuben krabbeln, wo sie heute noch sitzen. Eine Partei wie die FPÖ und das BZÖ, die in ihren Grundsatzprogrammen die Österreicher deutscher Zunge als Angehörige der deutschen "Volks- und Kulturgemeinschaft" erkennt, ist natürlich das ideale Umfeld für Thilo Sarrazin. Schon 1966 hatte sich Haider in der "National- und Soldaten-Zeitung" (29.Juli 1966) vernehmen lassen: "Wir haben (...) in den Deutschen Österreichs das Bewusstsein wach zu halten, ein Teil des deutschen Volkes (...) zu sein." Und 20 Jahre später in der "Aula", dem freiheitlichen Akademikermagazin (Heft 6/87): "Wir wollen eine nationale Politik und in diesem Sinne eine nationale Partei", weil "die bei weitem überwiegende Mehrheit in Österreich der deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft" angehört. Drei Jahre vorher ("Aula" 10/84) nannte er als "klare Verpflichtung", dass die "nationalen Wähler von mir entsprechend vertreten werden.

Aber in der öffentlichen Diskussion sollte es nicht darum gehen, ob Haider ein "Nazi" war oder nicht. Schon 1989 sagte Altkanzler Bruno Kreisky: "Haider ist ein lebensgefährlicher Nazi" - und wurde für diese Bemerkung wegen übler Nachrede strafrechtlich verurteilt. Dass Haider mit seinem Vokabular entsprechende Assoziationen bewirkte und mit gezielten Andeutungen Ressentiments weckte, ist heute wohl unbestritten. Er gefiel sich in Hinweisen, etwa mit dem Bild seines Amtsvorgängers Landeshauptmann Ferdinand Kernmaier, das er in seinem Landeshauptmannbüro aufhängte. Kernmaier, 1934 unter Dollfuß abgesetzt, wurde 1938 in der ersten nationalsozialistischen Landesregierung Kärntens zum Landesrat für Agrarwesen. Vorhalten, dass "ein alter Nazi als Schutzengel im Vorhof der Macht fungiert", entgegnet Haider mit dem üblichen Seitensprung: Das Bild sei ihm geschenkt worden; er schäme sich nicht seines Vorgängers. Kein Wort der Distanzierung - keines auch der Identifikation. 


In der Schwebe lassen, zur Interpretation einladen - ist das Motto. Wer sehen kann, findet eine integrierende Symbolsprache vor; wer nicht Insider ist, findet das Bild belanglos. Und genau da liegt der Punkt: Sarrazin sagt heute nicht mehr Volksschädling, sondern ersetzt es durch das Wort Nestbeschmutzer oder Staatsverräter. Er sagt auch nicht mehr völkisch, sondern ethnisch. Nur wer die Zusammenhänge kennt und die historischen Querbezüge herstellen kann, erfasst das Unterschwellige, Sarrazins moderne Nazisprache. Die jedoch auch konsequente Politik werden könnte..



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